Dienstag, 10. August 2010

Mordfall in Klein-Kleckersdorf

Bildquelle: Google-Bild
Eine nicht ganz erstzunehmender Kriminalfall, bei dem sich Gunnar Knauselwitz und Bernd Faselmann mächtig ins Zeug legen, um ihn zu lösen.


Ferdinand Fünzel zog kräftig an seiner Havanna, die er zwischen den nikotingelben Fingern hielt, und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Vor ihm lag eine alte, zerfledderte Regionalkarte von Klein-Kleckersdorf.
Die Dämmerung brach herein und unterstrich mit ihrem aufkommenden Nebel den herbstlichen Charakter, den der Oktober so an sich hat.
Genauso war es damals gewesen, als sie Waldemar Specht eins über die Rübe gezogen hatten. Sie, das waren er und sein Kumpan Hotte Meier, beide Besitzer eines großen, rentablen Kioskes an der Krumboldstrasse.
Und Specht war von der Steuerfahndung. Die Knalltüte behauptete doch, ihre Bücher wären getürkt! Na, dem hatten sie’s aber gezeigt, als der nicht locker lassen und sie anzeigen wollte.
Loretta, seine Frau, wunderte sich nur, dass er abends nie mehr auf ein Bierchen am Kiosk vorbei kam. Allerdings musste er sich gestehen, dass Spechts Ende drastischer als geplant ausgefallen war. Meier und er wollten diesen Speichellecker nur ein wenig erschrecken, und dann war der Schwung des Knüppels doch zu derb gewesen.

Er schaute auf die ausgebreitete Karte. Seine Finger fuhren über die markierte Stelle mit dem roten Kreuz: Das Grab des Waldemar Specht.
Heute morgen klingelte das Telefon, und ein aufgeregter Hotte teilte ihm mit, dass Waldarbeiter im besagtem Waldstück ein männliches Skelett gefunden hätten.
Sie hatten einst den Toten nur flüchtig am Waldrand versteckt. Erst am nächsten Abend, immer die Angst der Entdeckung im Nacken, war es ihnen anhand dieser Regionalkarte gelungen, die kleine Lichtung im Wald auszumachen, auf der sie Waldemar beerdigt hatten. Sie drückten bedauernd ihre Mützen an den Bauch, hielten die Köpfe gesenkt und kauten ein bisschen auf ihrem schlechten Gewissen herum. Doch nun war Waldemar wohl dem Spürsinn so manchen Tieres erneut zum Opfer gefallen.

„Ferdinand, du verdirbst dir die Augen! Mach doch Licht!“ Loretta betrat mit Schwung das kleine Arbeitszimmer ihres Mannes und riss das Fenster des Raumes auf.
„Mit deiner ewigen Zigarrenqualmerei verpestest du die ganze Wohnung!“ Dabei wedelte sie mit den Händen die im Zimmer hängenden Rauchschwaden zum Fenster hinaus.
Der aus seinen Gedanken gerissene Mann maulte: „Ständig hast du was zu meckern“. Dabei glitt sein Blick über seine Kontoauszüge, die er dabei war ordentlich zu sichten und zu sortieren. Sie zauberten ob ihrer Habensumme ein feistes Lächeln auf sein Gesicht.

„Übrigens, hast du schon gehört? Die Polizei hat eine Leiche im Forst gefunden. Es ist unheimlich! Nicht mal hier im Städtchen ist man seines Lebens sicher.“ Loretta schloss mit einem Knall das Fenster und schnappte sich den vollen Aschebecher.

Gunnar Knauselwitz klappte seine Mappe mit den Indizien zu und wandte sich an seinen Kollegen Bernd Faselmann: „Wenn der Kommissar weiter so‘n Rabatz macht, werd‘ ich noch verrückt! Der immer mit seiner Eile! Am liebsten wäre ihm, wir hätten die Ergebnisse vom gestrigen Waldfund schon vorgestern vorgelegt. Dem ist einfach nicht klar, dass wir erst die Obduktion abwarten müssen, ehe wir sinnvolle Schlüsse ziehen können.“
„Naja, du kennst ihn doch!“, meinte sein Kollege beschwichtigend. „Aber da fällt mir etwas ein. Der beiliegende Brief in der Plastikhülle, noch ziemlich gut lesbar, war wie unterzeichnet? War das mit einem L und einem F?“
Knauselwitz schlug stirnrunzelnd wieder die Mappe auf, blätterte und sagte dann: „Ja, am Ende steht ein L und ein F. Auch die Anrede – ‚Lieber W.‘ kann man gut entziffern. Hast du einen Verdacht?“
„Ist es ein Liebesbrief?“
„Denk ich doch bei dem Gesäusel!“, feixte Knauselwitz.

Derweil saßen Hotte Meier und Ferdinand Fünzel lachend in dessen Arbeitszimmer und prosteten sich mit einem Kognak zu. „Man wird nichts finden. Den 4000 Mark, die wir zurück ließen, wird in dem Ölbeutel nichts geschehen sein. Sie werden kein weiteres Geld vermuten – denn: Sie kennen unseren Kontostand nicht!“, lachte Fünzel. Meier schniefte: „Mensch, wer konnte denn ahnen, dass der beknackte Specht einen Geldkoffer dabei hatte, den er in ein Schließfach bringen wollte. „Für uns war das ein warmer Regen!“, wieherte Fünzel. „Wenn das meine Alte wüsste, was ich inzwischen auf der hohen Kante habe! Nur gut, dass dann bald der Euro kam und wir das Geld ‚waschen‘ konnten.“ Fünzel nahm die Kognakflasche und goss beiden die Schwenker voll.

Entsetzen breitete sich in der lauschenden Loretta hinter der Tür aus. Sie ließ sich im Flur auf einem Stuhl nieder, den Staublappen in der Hand. Was hatte sie da gehört? Waldemar war tot? Ihr Mann hatte Geld? Sie dachte und dachte und plötzlich fing ihr Herz an zu rasen, und sie dachte wieder: ‚Waldemar, du hattest das Geld also schon zusammen für das Häuschen in Spanien und ich nahm an, du hättest mich verlassen. Oh, Waldemar ...!“ Ein krächzender Laut des Schmerzes quälte sich aus ihrer Kehle, und sie presste die Hand mit dem Tuch auf ihren Mund.
‚Diese Lumpenhunde, diese Mörder!‘ Nichts anderes konnte Loretta mehr denken, als es schrill an der Wohnungstür klingelte.
Benommen öffnete sie den davor stehenden Polizisten. Nach dem sich die beiden Männer vorgestellt hatten, was lächerlich wirkte, da die Polizisten Loretta gut bekannt waren, begehrten sie den Ehemann Lorettas zu sprechen. Fassungslos öffnete sie Fünzels Arbeitszimmer. Meier und Fünzel lachten immer noch, und auch diesmal hing unter der Zimmerdecke dicker Zigarrenqualm. Über die Köpfe der beiden hinweg griff sich Knauselwitz die auf dem Schreibtisch liegenden Kontoauszüge.
Er murmelte „aha“ und „soso“ ... „Meine Herren“, dabei hielt Faselmann einen transparenten Beutel in die Höhe, „ist Ihnen inliegendes Indiz bekannt?“ Entsetzt schauten beide Männer in die Gesichter der Polizeibeamten und verneinten im Duett die Frage.
„Aber klar“, rief jetzt Loretta, die sich eifrig zwischen die Beamten drängelte, „das ist doch deine Mütze, Hotte, die ich dir letztes Weihnachten geschenkt habe! Erinnerst du dich nicht?“ Loretta bekam vor Eifer rote Wangen.
„Nene du, da musst du dich irren“, stotterte der Angesprochene.
Nun wandte sich Faselmann direkt an Loretta: „Frau Fünzel, darf ich ihnen etwas zeigen?“ Er zog einen kleineren Beutel aus dem Inneren seiner Jacke und holte ein Papierstück daraus hervor. Er entfaltete es mit behandschuhten Händen und hielt es vor Lorettas Gesicht.
„Ist ihnen der Inhalt dieses Briefes bekannt, vor allem, kennen sie den Adressat?“
Loretta war nicht mehr in der Lage, ihre Tränen zurückzuhalten.
„Ja“, hauchte sie, „ich habe diesen Brief an Waldemar geschrieben.“
„Was sagst du da?!“, donnerte es aus dem Hintergrund. „Hattest du mit diesem Lumpen etwa ein Verhältnis?“ Fünzel rollte mit den Augen. Am liebsten hätte er seine Frau gepackt und geschüttelt, aber Knauselwitz wusste das zu verhindern.
„Herr Fünzel, sie sagen ‚hattest‘? Wieso ‚hattest‘ – was meinen sie damit?“
„Ähm, ich meine – ich dachte“, stotterte Fünzel herum, „weil es doch einen Toten im Wald gegeben hat, da dachte ich...“
„Nichts mit ‚dachte ich‘! Sie beide sind festgenommen!“
„Sie können uns nichts beweisen!“, triumphierte Hotte Meier.
„Doch, das können wir“, erwiderte Gunnar Knauselwitz, „wir haben handfestes Beweismaterial und die Aussage Frau Fünzels. Und wir haben die Kontoauszüge, deren Vorgänge sich leicht nachvollziehen lassen.“ Damit entnahm er seiner Gesäßtasche zwei Paar Handschellen und ließ sie bei Fünzel und Meier um die Gelenke schnappen.

Insgeheim weidete er sich an diesem metallenen Klicken, das er zum ersten Mal in seiner Laufbahn hörte.

copy by gh
Zur Erleuterung: Unter diesem Titel wurde mir einmal in einer früheren Schreibwerkstatt die Aufgabe gestellt, daraus einen Kurzkrimi zu basteln.
Ich bin keine Krimischreiberin - und so entstand dieses sicher auf sehr wackeligen Füßen stehende Geschichtchen. :)